Rückholung
1958 stellt Oswald Haerdtl nach einem durchwachsendem Wettbewerbsverfahren und einer ebensolchen Umsetzungsphase das neue Wien Museum fertig. Trotz aller Schwierigkeiten ein selbstbewusstes Statement zeitgenössischer Architektur in einem historisch aufgeladenen Umfeld, in dem es von unterschiedlichen Meinungen damals wie heute nur so brodelt. Einige Zeit vorher hatte auch Otto Wagner dieses Brodeln zu spüren bekommen – seine Vorstellungen für ein Museum am Karlsplatz sind darin leider zerkocht.
Zu Beginn stand das Wien Museum in einer völlig anderen städtebaulichen Umgebung, in die es sehr präzise und angemessen in seiner Positionierung und Proportionierung eingepasst war. Ein den Karlsplatz durchziehendes Straßennetz grenzte kleinere Platzbereiche ab, die durch den Umbau in den 1970er Jahren plötzlich verschwanden. Im neuen Umfeld des Resselparks verlor das Museum seinen städtebaulichen Halt und wurde an den Rand des Parks gedrängt. Zudem wurde der Pavillion durch den direkten Anbau des Winterthurgebäudes (Arch. Lippert) zu einer Randbebauung und das Gebäude rutschte endgültig aus dem Platz. Eine „Rückholaktion“ wurde notwendig. Unsere Aufgabe bestand nicht nur darin, einen architektonischen Markstein an der nordöstlichen Ecke des Platzes zu formulieren, sondern vielmehr eine stadträumlich völlig neue Situation zu schaffen. Das Ergebnis ist ein attraktives und vielschichtiges urbanes Angebot an einer bisherigen Schwachstelle des Resselparks. Das Wien Museum versteckt sich nicht länger hinter Bäumen, sondern wird bestimmender Player seines urbanen Umfeldes. Verantwortlich dafür ist neben der Architektur des erweiterten Gebäudes in hohem Maße auch die Neugestaltung des umgebenden Freiraums. Das zentrale Element einer Plaza vor dem Museum – eine freie einladende Fläche – verspricht zusätzliche stadträumliche Qualität. Sichtbares Symbol dieser Raumbeziehung ist der transparente Pavillon – eine gläserne Erweiterung des Eingangsbereiches, ein semi-öffentlicher Raum und verbindendes Element zwischen Karlsplatz und Museum. Funktional dient dieser als großzügiger Ankunftsort, der die neu geschaffene Plaza zur stark befahrenen Lothringerstrasse gegen Norden abschirmt.
Mit dem Kürzen des Nachbargebäudes tritt das Wien Museum nun wieder als freistehender Baukörper in Erscheinung.
Die Symbiose aus Zurückhaltung und Statement, aus Mut zu dieser Form von Angemessenheit und Rücksicht auf die Umgebung, hat die Jury im internationalen Wettbewerb 2015 mit weltweit 275 eingereichten Projekten entsprechend erfasst – und zu schätzen gewusst.
Diskussion
Aus Akzeptanz und Anerkennung des historischen Bestandes war für uns ein Zubau „vor die eigene Tür“ undenkbar und hätte eine interne Konkurrenz evoziert.
Wir entwickeln das neue Gebäude aus den Funktionen und Proportionen des alten heraus und verwenden Portale und Erschließung nicht nur weiter, sondern führen sie auch in die neuen Gebäudeteile fort. Was wir hinzufügen ist eher Vervollständigung als Erweiterung. Der aus Brettern geschalte rohe Beton, der unter der feingesponnen Steinfassade Haerdtl´s im Bestand das Tragen übernimmt, wächst nun aus dem Innenhof des Bestandes als neue Struktur empor und bildet – im Abstand eines Geschosses als Schlussstein über dem Bestand schwebend – einen markanten, kräftigen Eckpunkt im Nordosten des Resselparks.
Eine Diskussion ist ein Vorgang – so wie auch das Bauen ein Vorgang ist. Im Bestand zu bauen gelingt, wenn diese beiden Vorgänge eins werden. Diean den Altbau gestellten Fragen und die Antworten darauf sind oft widersprüchlich, oft ergänzend, oft humorvoll, manchmal zynisch. Wertvoll und zielführend sind sie jedenfalls. So beginnen wir den Dialog mit den Fragen „wer bist du?“ und „wie geht es dir?“. In die Sprache des Bauens übersetzt bedeutet dies eine minutiöse Bauaufnahme mit 3D-Scan, vollständiger Dokumentation, statischer Analyse, Materialanalyse und vielem mehr. Man erkennt, worauf man bauen kann, was schützenswert ist, was temporär abgetragen, saniert und später wieder eingebaut werden muss.
Die Qualität des Haerdtl-Gebäudes definiert sich stark im Detail, in der Proportion der Fassadenelemente, in der Auflösung der Aluminiumkonstruktionen der Fensterelemente, in der Materialwahl, im durchgedachten, durchgestalteten einzelnen Objekt bis hin zur Türschnalle.
Der Umbau im Bestand geht auch immer mit der Problematik der zwischenzeitlich unangenehm „angeschwollenen“ Ansprüche an ein Bauwerk einher. Obwohl sich die Menschen seit der Museumseröffnung in den 1950ern nicht wirklich evolutioniert haben, scheinen die adaptierten Normen doch dieser Meinung zu sein. Was Haerdtls Bauwerk 70 Jahre lang nachweislich imstande war, genügt der heutigen normativen Einschätzung schon lange nicht mehr: So verstärken wir ihn gegen Erdbebenlasten, erleichtern den Zugang, in dem wir den Vorplatz neigen um stufenlos zu werden, schaffen Barrierefreiheit und Brandschutz und entwickeln Systeme, wie wir mit natürlichem Licht umgehen, das ein zeitgemäßes Museum im Grunde fürchtet. Viel Herzblut und Detailarbeit investieren wir also in die Vermeidung von Risiken, die vor 70 Jahren nicht als solche erkannt oder eingestuft wurden.
Am Beispiel der Geländer wird dies besonders sichtbar: Beim Stiegengeländer treffen die unterschiedlichen Ansprüche frontal aufeinander. Konnten Menschen früher offensichtlich einwandfrei über Stufen steigen, benötigen sie heute dafür extremen Schutz: Stürzt jemand über die Stiege, so wird sie gleich vermessen und es wird festgestellt, ob wohl ein Dritter für den Sturz verantwortlich gemacht werden kann, da die vorgeschriebenen Normen nicht befolgt wurden. Ob es an der Degeneration der Menschen liegt oder an einem berufsspezifischen Wandel hin zu mehr überprüfenden (selbst keine Verantwortung übernehmenden) zu ausführenden (sämtliche Verantwortung übernehmenden) Berufsgruppen, mag dahingestellt bleiben. Letztendlich leidet die architektonische Qualität des Geländers darunter. Soll es also ersetzt werden oder umgebaut? Ist es sinnvoll, ein Gebäude, das seine Identität aus der Detailqualität schöpft, im Detail zu verändern?
Wir haben das Alte belassen und ihm gewissermaßen nur unter die Arme gegriffen. Beim Geländer sprichwörtlich. Die unterstützenden Stäbe greifen wie Finger gefalteter Hände zwischen die bestehenden und erfüllen die überflüssigen Notwendigkeiten wie ein dienender Schatten.
Gnadenlos prallen auch bei den Fenstern technische Anforderungen verschiedener Zeiten aufeinander. Waren die Aluminiumfenster aus den 1950er Jahren noch stark handwerklich geschraubt und gefaltete bzw. gefalzte Konstruktionen, so ist die heutige Fenstertechnik reiner hochtechnisierter Maschinenbau, observiert von in eigenen Detailwelten lebenden Sachverständigen für die ein einzelner Falz ein bücherfüllendes Thema darstellen kann. Die bestehenden Fenster können in dieser neuen Anspruchswelt, zu der natürlich auch die Ansprüche an ein modernes Museumsklima gehören, nicht leben. Wir müssen sie ersetzen (innenliegende, mit unveränderten Anforderungen, werden aufwändig restauriert). Die neuen Fenster erben lediglich das äußere und innere Erscheinungsbild in den Ansichtsmaßen und Falzebenen. Eine 100%ige Übereinstimmung erreichen wir nicht, zumal die Leistungsfähigkeit der Verglasung eine völlig andere zu sein hat. Von außen gesehen ist kein Unterschied sichtbar: Proportionen, Lage, Profilansichten und Farben sind nahezu identisch mit dem ursprünglichen Erscheinungsbild. Doch die Technik des Fensters, welche sich hauptsächliche in die Konstruktionstiefe bewegt, ist letztlich dafür verantwortlich, dass das Museum überhaupt auch in Zukunft seiner Nutzung nachkommen kann: Elektrochromatisches Glas kann je nach Lichteinfall seinen Lichtdurchlass bis zu weniger als ein Prozent reduzieren. Diese bemerkenswerte Materialeigenschaft spart uns ganze Technikräume gefüllt Klimageräten, welche die einfallende Energie wieder wegkühlen müssten.
Haut
Die bestehende vorgehängte Steinfassade hält den klimatischen Verhältnissen nicht stand. Im Zuge der Erneuerung wird das Gebäude wärmegedämmt und somit bestehende Kältebrücken beseitigt.
Das alte Natursteinkleid – übrigens bereits das zweite und längst nicht mehr das originale – wird mit jeder Fuge aufgenommen und im Anschluss vom Bestand geschält. Das neue Kleid ist exakt im gleichen Muster geschnitten, genäht und wieder angezogen – wie eine Transplantation. Die Farbigkeit wird im Zusammenspiel von alten Dokumentarfotos der ursprünglichen Fassade und dem hellen Sichtbeton des Neubaus, sowie in Abstimmungen, Bemusterungen und Gesprächen mit Wissenschaftlern und Sachverständigen – und natürlich mit dem Denkmalamt – minutiös ermittelt. Dabei geht es neben der Annäherung an Haerdtls ursprünglichen Ansatz auch um die Aufgabe, einen Dialog mit dem neuen Aufbau zu führen. Je besser dieser Dialog geführt wird, umso weniger fallen diese beiden Bauteile auseinander und werden im besten Falle zu einem – eben zu einer Diskussion.
Sowohl uns als Architekten als auch der Bauherrschaft war es ein Anliegen, die Fassadensteine nicht nur auf dem Papier, sondern vor Ort an den Steinbrüchen in der Wachau (eiskalt und vereist – im Winter) und in Trogir (heiß und verstaubt – im Sommer) kennenzulernen. Durch dieses persönliche Eintauchen in die Ursprungsorte des Materials gelingt die geeignete Behandlung der Oberfläche, welche den hellen Grundton der Fassade erwirkt. Unterschiedlich matte Oberflächen des ausgewählten Materials (White Shell) werden evaluiert: Wir stellen fest, dass der gebürstete Stein gegenüber einer gebürsteten und sandgestrahlten Variante einen höheren Glanzgrad aufweist. In Zusammenhang mit den Materialien des Neubaus, der aus Weißbeton mit sägerauer Schalung hergestellt wird, erweist sich die mattere, zusätzlich sandgestrahlte Oberfläche als wesentlich stimmiger. In der Gesamtheit bildet der mit Steinplatten belegte Haerdtl-Bau – sehr präzise gefügt und fein in der Oberfläche – einen gut wahrnehmbaren, dennoch nicht starken Kontrast zu der sehr matten Oberfläche des Betons des Neubaus. Beide Bauteile können in dieser feinen Abstufung von Mattheit einen stimmigen Gesamteindruck erzeugen. Ein Auseinanderfallen der Baukörper auf Grund zweier unterschiedlicher Materialien und Konstruktionen wird auf diese Weise subtil verhindert.
Die Platten aus Wachauer Marmor an den Fensterbereiche zeigen, dass die ursprüngliche Gestaltung Haedtls für die dreigeteilte Parapetverkleidung ein Kunstwerk für sich darstellte, das es in ebensolcher Qualität wiederherzustellen gilt. Letzter Anspruch läuft auf ein langwieriges aber beherztes Verfahren hinaus, um die vertikale Struktur zu erhalten: Der Stein wird vor dem Schnitt „richtig“ gedreht, hierauf jeder einzelne nummeriert und gescannt, um daraus künstlerisch Dreiergruppen zu arrangieren.
Die Folge dieser intensiven Beschäftigung sind eine Ton-in-Ton-Einheit über alle Bauteile hinweg, wie etwa das Entsprechen der Farbigkeit des glatt geschalten Betons und der Steinfarbe des White Shell, während der rau geschalte Beton die Tonalität der Fensterleibungen annimmt.
Knochen
Das denkmalgeschützte Gebäude wird eher restauriert als technisch saniert, was bedeutet, dass der bauliche Eindruck des Bestandes nahezu vollkommen erhalten bleibt und der Neubau als komplett eigenständiges Element in annähernd einer Materialität – also Sichtbeton – gewissermaßen von oben in den bestehenden Innenhof eingestellt wird (bautechnisch wird selbstredend von unten beginnend aufgebaut). Da wir es beim Neubau demnach mit einem groben, industriellen Material zu tun haben, dessen sichtbare Qualität durch den Vorgang des Bauens entsteht, ist eben diesem Vorgang großes Augenmerk gewidmet.
Die neuen Bauteile sind in dem für die Öffentlichkeit zugänglichen Bereich in hellem Sichtbeton ausgeführt. Dabei gilt als architektonische Prämisse, dass in der Machart – also im direkten Herstellungsprozess – das handwerkliche Element des Betonbauens als Qualität sichtbar wird. Dazu gehören die ureigenen Eigenschaften des Betons in seiner Lebendigkeit und Struktur, sowie seine gestalterischen Möglichkeiten.
Der Beton wird sowohl farblich als auch in seiner Oberfläche gestalterisch behandelt.
Ziel ist das Erreichen herausragender baukünstlerischen Qualität anstelle sklavischer Normenerfüllung. Derartiges kann nur durch hochqualitative Herstellungs- und Arbeitsprozesse sowie durch ein hervorragendes, den gesamten Bau kontinuierlich begleitendes Team gewährleistet werden.
Während die Farbigkeit des hellen Sichtbetons dank entsprechender Zuschlagstoffe sowie der Verwendung von Weißzement (keine Pigmente!) im gesamten Gebäude dieselbe ist, unterscheiden sich die Oberflächenstrukturen der verschiedenen Bereiche:
So werden etwa die Ortbetonflächen des Vorplatzes entsprechend abgezogen und gekehrt, die Säulen und Träger des Pavillons mit sägerauen Brettern geschalt, wie auch die aufstrebenden Wände und der tragende oberen Abschluss des Atriums sowie die Innenseite der Außenwand im Schwebegeschoß.
Hingegen versehen wir die Außenseite dieser Wand – als Kontrapunkt zum Bestandsgebäude – mit einer zusätzlichen Strukturierung: Die vertikale Bretterschalung wird hier nicht stumpf Mann-an-Mann gestoßen, sondern mittels schräg abgefaster Kanten an den Schalungsbrettern eingebracht, was zu einer vertikalen Gratbildung führt. Die oben erwähnte handwerkliche Note besteht u.a. darin, diese Grate händisch – also unregelmäßig – zu brechen. Aus der Distanz gesehen entsteht ein Schalungsbild, das – aus der Entfernung gesehen – einer handgezeichneten Bleistiftschraffur entspricht, die sich im Sonnenlauf über den Tag stetig verändert.
Stets wichtig ist, die Hand – das Handwerk – dergestalt in den Herstellungsprozess einzubinden, dass die Einmaligkeit alleine schon durch die Art des Herstellens spürbar – und sichtbar – wird.
Durch die Vollständigkeit der eingelegten Schalungsstruktur, die sich textilartig über den gesamten Neubau legt, verliert dieser seine Teilehaftigkeit und wird zu einer skulpturalen Einheit. So gelingt es, dem Bestand, der seinerseits vom Zusammenspiel wohlproportionierter Teile und Materialen lebt, nur ein einziges letztes Element hinzu zu fügen und auf diese Weise kein Streitgespräch sondern eben einen Dialog zu beginnen.
Schweben
Der Entwurf des Wien Museum Neu scheint auf den ersten Blick einfach und zurückhaltend, auf den zweiten Blick unbaubar.
Genau darin liegt die architektonische Spannung.
Die statische Lösung folgt keinem sturen formalen Anliegen, sondern erwächst einem lockeren, vernünftigen und sichtbaren konstruktiven Ansatz.
Anstatt das Tragen zu verstecken werden der Zusammenhalt, das Gewicht und die Arbeit des Materials sichtbar. Das statische Konzept sieht vor, die Lasten des Schwebegeschoßes über eine massive auskragende Stahl- bzw. Stahlbetonkonstruktion direkt über den Innenhof in den Grund zu leiten.
Die städtebauliche Situation verlangt nicht nur nach mehr Höhe, um auf Augenhöhe zu den anderen am Tisch des Karlsplatzes sitzenden Gebäuden zu kommen, sondern auch nach mehr Gewicht, um das Nordosteck des Platzes entsprechend zu markieren. Der Stahlbeton, so schwer er oberflächlich erscheinen mag (- ein Leichtbau läge womöglich näher -) kann diese Anforderung nach Gewichtigkeit erfüllen. Ortbeton ermöglicht skulpturales Bauen und Authentizität – er kann Innen halten, was er außen verspricht und hat monolithische Eigenschaften, die wir uns zunutze machen können. Seine Herstellung ist handwerkslastig und muss größtenteils vor Ort erbracht werden. Beides führt zu einer individuellen Verschmelzung mit dem Ort. Die Energie fließt hier nicht in eine Verkleidung, sondern direkt in die geschalte Oberfläche und bleibt dem Ergebnis sichtbar erhalten
Die Statik hilft hier nicht ein Konzept umzusetzen – sie ist das Konzept. Wohl stehen städtebauliche und inhaltliche Überlegungen und Forderungen im Vordergrund, jedoch münden alle Ansätze schlussendlich in die Notwendigkeit, materialisiert zu werden. Dieses Materialisieren ist nicht notwendiges Übel um zur finalen Architekturaussage zu kommen, sondern es ist schlicht die Sprache, in der Architektur gesprochen wird. Will ich also einen klaren und verständlichen Satz formulieren, so müssen mir die notwendigen Mittel dazu geläufig sein. Es wird keine präzise Aussage mit unklaren Worten getätigt werden können. Ebenso kann kein präzises Gebäude gestaltet werden, ohne Klarheit über die Bedeutung, die Stärken und Schwächen der Materialien.
Beim Wien Museum fiel die Materialentscheidung auf Beton, weil wir einerseits ein städtebaulich fehlendes Gewicht des Bestandsgebäudes ausgleichen wollen, andererseits nur mit Beton in seiner Gießbarkeit die Möglichkeit haben, dem aus vielen kleinen Teilen zusammengesetzten Haerdtl-Bau – wie bereits beschrieben – nicht ein weiteres Sammelsurium an Details zu addieren, sondern lediglich mit einen monolithisch gegossenen Abschlussstein zu versehen.
Der Beton löst also die Fragen des städtebaulichen Gewichtes und der Teilehaftigkeit. Aber dieses Gewicht will auch getragen werden.
Etwas Leichtes zum Schweben zu bringen wirkt selbstverständlich, etwas Gewaltiges zum Schweben zu bringen wirkt majestätisch und magisch.
Wir versuchen letzteres: der gesamte Baukörper des neuen Ausstellungsgeschoßes schwebt stützenfrei im Abstand eines Geschosses über dem Altbau.
Das Geheimnis des Schwebens liegt hier im Ausnutzen der Materialtalente: Beton stützt und trägt die enormen Kräfte durch den Innenhof vertikal ins Erdreich ab. Auskragungen übernimmt der Stahl: Als Zugelement hängt er das gesamte obere Geschoss an den mittleren Betonstützen ab: Vier Hängebänder – sichtbar durch den Raum gespannt – bewältigen die gesamte Last eines Geschosses und leiten die Kräfte in die Stahlbetonkonstruktion im Zentrum des Gebäudes. Sie vermitteln im öffentlichen Fugengeschoss den Eindruck als schwebe das darüber liegende Gebäude, denn weder im Raum selbst noch an der Fassade findet man tragende Stützen.
Aus der Nähe betrachtet scheint die Bezeichnung „Bänder“ untertrieben, sind dies vielmehr recht eindrucksvolle massive Stahlbleche mit einem Querschnitt von bis zu zehn auf 90 Zentimeter – und davon bilden fünf Stück nebeneinander ein Zugband.
An den äußeren Rändern münden die Hängebänder in einen umlaufenden Fachwerkkranz, der als stabiler Ring das Fassadenskelett des obersten Geschosses bildet und mit den oben genannten Betonelementen beidseitig eingekleidet wird: Kein herkömmlicher, aber doch ein Stahl-Beton-Bau.
Resumee
Architektur: Architektonisch ging es um Bedeutung. Die Funktion und mehr noch der Ort verlangten nach einem Rufzeichen. Ein Rufzeichen per se hat aber keine Bedeutung, also versuchten wir den Satz davor mit entsprechendem Inhalt so zu füllen und zu formulieren, dass das Rufzeichen lediglich die Folge davon ist. Vorrangiges Thema war die Diskussion mit dem Bestand. Wie führt man das begonnen Gespräch weiter, ohne aneinander vorbei zu reden? In diesem Dialog konnten wir Themen, die Haerdtl begonnen hat, aufnehmen und fortführen. Da geht es um Bewegung im Haus, um Begrüßen, Bedienen, Herzeigen aber auch Tragen und Darstellen. Aus diesem „Gespräch“ entstanden unsere Antworten. Deshalb sehen wir das neue Gebäude in seiner Gesamtheit nicht als Dualität, sondern eher als Dialog und damit als Einheit.
Konzept: Die neuen Bauteile entwickeln sich aus den großen Öffnungen des Bestandes heraus. Der Pavillon aus dem Entree, das Schwebegeschoss aus dem Innenhof.
Während der Pavillon den Resselparks mit neuer urbaner Qualität erfüllt, bildet der Aufbau einen kräftigen Markstein zur Manifestierung der Nordostecke des Platzes.
Das Volumen, das zwischen dem Schwebegeschoss und dem Bestand frei bleibt, repräsentiert den Respekt und die Kommunikation zwischen alt und neu. Dementsprechend findet hier Öffentlichkeit statt – als Raumpause zwischen den Ausstellungen, als Event, als Vermittlung, als Gastronomie oder einfach als Blick über die Baumkronen des Resselparks auf Wien.
Denkmalschutz: Der Bestand als Gesprächspartner. Wir fragen und beobachten.
Sehr genau.
Jeden alten Plan, jede Fuge in der Fassade, jede Natursteinplatte, jedes Geländer, jede Leuchte.
Für vieles bekommen wir Antworten. Einige sind schmerzhaft. Keine führt zu Streit. Manche werden ausdiskutiert und führen zu einem Kompromiss, mit dem alle leben können und wollen, weil die Diskussion alleine schon wertvoll ist.
Gesprächskultur, die zu Baukultur führt.
Ein Museum, das Wiener Geschichte erzählt, wirkt in einem Gebäude, das Wiener Baugeschichte ist.
Haltung: Kein Rufzeichen bauen, sondern den Satz davor… Was bedeutet das für die Ausstrahlung des Gebäudes? Wenn der Satz davor ein Dialog mit dem Bestand ist – eine Auseinandersetzung verschiedener Konstruktionsweisen, eine auf alles andere verzichtende Fingerübung im Detaillieren und im Gebrauch von Material auf höchstem Niveau – dann handelt es sich um ein reines Fachgespräch, nicht mehr.
Ist das als Aussage genug an so einem Ort, wo es um Kollisionen von Weltanschauungen verschiedener Epochen geht? Ist es zu wenig oder ist es gerade richtig, weil keine persönliche Meinung kundgetan wird, wohl aber das Ausreizen des im Rahmen des aktuellen Umfeldes – politisch, wirtschaftlich, kulturell – Möglichen. Das Exerzieren der Disziplin Architektur in der reinsten Form – Material – Konstruktion – Raum – Ort – Zeit. Das und genau das. Nicht mehr, aber davon nicht wenig. Ist nicht diese politisch radikal wertfreie Aussage als reine Qualitätsbezeugung in einer Zeit des alles, jeden und jede berücksichtigen Müssens das einzig Folgerichtige? Wir grenzen das Aufgabenfeld der Architektur auf die Basisfragen ein – die allgemeinen wurden ja schon im Vorfeld entschieden. Das Museum an seinem Standort zu belassen mag fragwürdig bleiben, ein Museum, das die Geschichte Wiens erzählt in einem Gebäude zu belassen, das selbst zu dieser Geschichte geworden ist, ist jedoch nicht nur sinnfällig, sondern auch poetisch.
Dass wir in der Bedeutungsebene vom Neubau von einem Schlussstein sprechen, erklärt, dass es um etwas geht, das sich selbst beschreibt und nichts darüber hinaus, dass sich darum kümmert, die gestellten Aufgaben – auch die der Auseinandersetzung mit der baulichen Geschichte – zu lösen, aber kein Interesse hat, Pamphlete in die Welt hinaus zu schreien – als Rufzeichen ohne Satz. Das Haus ist, was es ist. Es ist keine Idee – es ist Arbeit. Es ist Dialog.
Baukultur: Das Wien Museum erzählt als Museum die Geschichte Wiens. Das Gebäude des Wien Museums ist ein wichtiger Teil dieser Geschichte geworden. Die jahrzehntelangen Geburtswehen des Entstehens, der Mut zur Moderne neben einer Ikone der Baugeschichte, die Wandlung des Karlsplatzes im Laufe des Bestehens des Museums, die hunderten unverwirklichten Visionen bis hin zum aktuellen Wettbewerb, mit 275 internationalen Vorschlägen und Vorstellungen, wie mit dem Gebäude umgegangen werden soll – all das stellt eine intensive baugeschichtliche Diskussion dar, die ein Gebäude zum Teil einer erzählenswerten Geschichte macht, nämlich einer, die das Haus mit seiner ureigenen Aufgabe nun selbst erzählen darf. Bei so vielen Anläufen im Vorfeld sehen wir die jetzt real gewordene Architektur als folgerichtiges Ergebnis einer sich kulturell auf höchster Ebene agierenden Stadt mit allem, was dieses Ergebnis an gestalterischer Qualität, Kraft und Aussage zu ihrer Zeit beitragen kann und wird.
Čertov / Winkler + Ruck, Juni 2023